Leitbilder

 

Zeitgemässe Leitbilder von Institutionen des Gesundheits- und Sozialwesens entsprechen der Verfassung eines demokratischen Rechtsstaats.

 

Soziale Unternehmen sind vermehrt darauf angewiesen, neben qualitativen auch ökonomische Perspektiven in den Vordergrund zu rücken.  Im Gegensatz zur freien Marktwirtschaft, die sich an selber zahlenden Kunden orientiert, sind Institutionen des Gesundheits- und Sozialwesens verpflichtet, darüber hinaus die Perspektiven öffentlicher und privater Partner sowie von Sozialversicherungen zu berücksichtigen, die Leistungen für ihre Klienten mitfinanzieren. Damit erfüllen sie einen politischen und gesellschaftlichen Vertrag, einen „contrat social“, der demokratisch legitimiert ist. Die Qualität und die Entwicklung ihrer Leistungen sollten die Institutionen deshalb ebenfalls auf ein demokratisches Fundament stellen, das nicht zuletzt auf der in der Verfassung verankerten Solidarität gegenüber Menschen mit Unterstützungsbedarf gründet. Ausdruck davon sind glaubwürdige, verbindliche, in einem Prozess, der verschiedene Blickwinkel von innen und aussen vereint, entwickelte Leitbilder, die über idealisierte, unverbindliche Menschenbilder hinausgehen und als Managementinstrumente taugen.

 

Grundsätze

 

Vom guten Vorsatz zum praktikablen Grundsatz.

 

Mit der Industrialisierung entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Gründungswelle von Armenhäusern für Erwerbslose, Alte und Kranke. Ihre karitativ-paternalistische Grundhaltung führte zu Kernbotschaften sozialer Einrichtungen im Sinn von „bete und arbeite“. An dieser Grundhaltung änderte sich bis in die 1970er-Jahre wenig. Mittlerweile hat diese diskriminierende Haltung die Mehrheitsfähigkeit in unserer Gesellschaft verloren. Die Leitbilder wurden nach und nach mit humanistischer Perspektive auf der Basis ethischer Überlegungen ersetzt. Die praktische Überprüfbarkeit, ob enthaltene Grundsätze und Verhaltensregeln gelebt werden und ob die wichtigsten Partner (Kunden, Institutionen, Finanzierer) damit einverstanden sind, ist in dieser Leitbildgeneration, die heute noch überwiegt, kaum miteinbezogen. Die Gefahr besteht, dass es beim guten Vorsatz bleibt.

 

Abgestützt auf ihre Vision soll das Leitbild einer Institution der Verfassung eines demokratischen Rechtsstaats entsprechen: Im Sinne des Gesellschaftsvertrags nach Rousseau soll es generelle, allgemein verbindliche Regeln enthalten, ohne sich in alltäglichen organisatorischen Detailbestimmungen zu verlieren. Der Praxisbezug gilt umgekehrt: Alltag und Organisation einer Institution müssen sich verbindlich auf das Leitbild stützen können. Aus diesem Grund soll ein Leitbild zu jedem Grundsatz eine verantwortliche Stelle nennen, die für den Bezug zur praktischen Ausführung die Verantwortung trägt.

 

Entwicklung

 

Paradigmenwechsel verändert Leitbilder.

 

Leitbilder sollen über dem Tagesgeschehen stehen und zeitlich mit einem langen Atem den sich wandelnden Ansprüchen aller involvierten Personengruppen, Finanzierer und staatlichen Regelungen angepasst werden. Wenn eine Hauptanspruchsgruppen einen Paradigmenwechsel vollzieht, ist es Zeit, die Leitbilder zu überprüfen. Dies trifft namentlich zu, seit die öffentliche Hand Leistungen vorwiegend nach Massgabe individueller Bedürfnisse finanziert anstelle der pauschalen Subventionierung von Institutionen, weil der karitative Ansatz vom Anspruch mündiger Menschen auf Selbstbestimmung abgelöst worden ist.

 

Direkt mit diesem Wechsel zur sogenannten Subjektfinanzierung verknüpft sind das Recht und der Wunsch von Kunden, bei der Wahl der Institution und der Unterstützungsmassnahmen zumindest mitzubestimmen. Dies kann für eine Institution, die ihre Kunden, Klienten, Patienten bis anhin von Kantonen und Gemeinden zugewiesen bekam, bedeuten, dass sie sich in kurzer Zeit in einem kundenorientierten Konkurrenzfeld neu orientieren und behaupten muss.

 

Zuständigkeiten

 

Der Paradigmenwechsel von Objekt- zu Subjektfinanzierung stärkt die Kunden.

 

Die öffentliche Hand ortet in der Subjektfinanzierung Sparpotential. Auf dem Papier sind die meisten sozialen Institutionen in der Schweiz privatrechtliche Trägerschaften mit unternehmerischer Verantwortung. Allerdings steuert die öffentliche Hand die Betriebe nach wie vor weit über die Auftragserteilung hinaus.  Erstens verlangen Verfassung, Gesellschaft und Klienten vom Staat, dass er für Unterstützungsbedürftige sorgt, und zweitens ist der Staat oft Mit- oder Haupteigentümer sozialer Einrichtungen – selbst wenn diese privatrechtlich organisiert sind. Folglich bleibt die Hauptverantwortung für ein funktionierendes Sozial- und Gesundheitswesen bei der öffentlichen Hand. Andernfalls würde die Gesellschaft riskieren, dass nur noch zahlungskräftige Kunden ausreichend versorgt sind, was die Verhältnisse in Staaten mit forcierter Privatisierung öffentlicher Leistungen bestätigen. Ein Leitbild ist deshalb der geeignete Ort, um die verbriefte Solidarität im Interesse ihrer Kunden, Klienten, Patienten zu verankern und Klarheit über die oft komplexen Entscheidungs- und Beeinflussungsstrukturen zu schaffen.

 

Anspruchsgruppen

 

Hauptanspruchsgruppen prägen Leitbilder.

 

Die Hauptanspruchsgruppen eines Unternehmens mit sozialem Auftrag definieren den Bezugsrahmen und damit das Leitbild einer Institution: Das sind die Kunden mit ihren Bezugspersonen, die öffentlichen und privaten Partner, die Leistungen mitfinanzieren, und die Institution mit ihren Mitarbeitenden, ihrem Management und ihren strategischen Organen. Sofern öffentliche Partner keinen Anlass haben, sich an einer Leitbildentwicklung zu beteiligen, sind sie zu den übergeordneten Anspruchsgruppen zu zählen.

 

Bei der Leitbildentwicklung sind die Blickwinkel all dieser Anspruchsgruppen miteinzubeziehen, zusammen mit einem Aussenblick, der die Funktion eines Katalysators wahrnimmt und für die zielgerichtete Entwicklung des Prozesses sorgt.

 

Rahmenbedingungen

 

Übergeordnete Anspruchsgruppen geben den Rahmen vor.

 

Übergeordnete Anspruchsgruppen definieren die Rahmenbedingungen, beteiligen sich aber nicht am Leitbildprozess. Sie behalten sich aber unter Umständen vor, zu prüfen, ob ein Leitbild die gesetzlichen und gesellschaftlichen Anforderungen erfüllt und ob dazu eine externe Beurteilung erforderlich ist. Die Rahmenbedingungen sind daher – idealerweise durch die Prozessbegleiter – in den Leitbildprozess einzubringen.

 

Basis

 

Untergeordnete Anspruchsgruppen unterstützen.

 

Untergeordnete Anspruchsgruppen, die keinen unmittelbaren Einfluss auf das strategische und operative Engagement von Institutionen mit öffentlichem Auftrag haben, sind politisch und konfessionell ausgerichtete Organisationen und Personen, profitorientierte Dienstleistungsbetriebe, Branchenorganisationen sowie Bildungsanbieter. Diese Partner können Unterstützung für qualitativ gute Angebote leisten, doch weder im strategischen noch im operativen Entscheidungsprozess einer Institution, die das Leitbild zusammen mit den Hauptanspruchsgruppen definiert, haben sie eine Stimme. Im Leitbild-Prozess ist abzuwägen, wie weit die Optik untergeordneter Anspruchsgruppen einfliessen soll.

 

 

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